Kämpfe um die Menschenwürde by Baldus Manfred

Autor:Baldus, Manfred [Baldus, Manfred]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

II. Erklärungen

1. Flexibles Begründungselement

Am einfachsten dürften sich noch die erheblichen Rationalitätsdefizite erklären lassen, welche die Dogmatik der Würdenorm kennzeichnen und für die maßgeblich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verantwortlich ist: Das Gericht nutzte die unbestimmte und offene Norm als flexibles Begründungselement. In seinen Entscheidungen diente sie dazu, Freiheitsbeschränkungen, genauer Begrenzungen der Selbstbestimmung, zu rechtfertigen, sogar in Gestalt einer dieser Norm entnommenen Verpflichtung, zur Durchsetzung einer solchen Beschränkung das Strafrecht einzusetzen. Aber in gleichem Maße griff das Gericht zu dieser Norm, um auf neuartige Freiheitsgefährdungen zu reagieren und im Wege einer verfassungsgerichtlichen Rechtsfortbildung neue Grundrechte und sonstige Schutzpositionen zu kreieren, ja diese sogar gegen den verfassungsändernden Gesetzgeber in Anschlag zu bringen. Das Schutzgut der Norm mit Attributen der Absolutheit und Unverlierbarkeit zu adeln, hatte dann den Zweck, die favorisierten Falllösungen auf ein unüberbietbares Argument stützen und das Entscheidungsergebnis als unausweichlich darstellen zu können.

Die unvermeidliche Konsequenz eines solchen Umgangs mit der Würdenorm aber war, dass sich die zu ihr erarbeitete Dogmatik mit fast jeder Entscheidung immer weiter von dem Anspruch entfernte, ein weitgehend widerspruchsfreies Gebilde an normbeschreibenden und -erklärenden Sätzen zu sein. Sie entwickelte sich zu einem Gemisch von inkonsistenten, mitunter allerdings pathetisch klingenden und rhetorisch eingesetzten Normkomponenten.

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